Rückblick: Zweites Fachsymposium "Digitalisierung und Projektentwicklung" an der Universität Mannheim


Noch ist es eine idealistische Vorstellung, doch erste Ansätze in der Praxis gibt es bereits und die Potenziale scheinen enorm: Eine durchgängige digitale Wertschöpfungskette von Bauwerken erstreckt sich, ausgehend von der Projektentwicklung über die Planungs- und Bauphase, bis hinein in die Betriebs- und Nutzungsphase und letztlich auch den Rückbau. Das zweite Fachsymposium des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Planen und Bauen widmete sich den nötigen Voraussetzungen und ersten konkreten Anwendungen in der Projektentwicklung für die durchgängige digitale Wertschöpfungskette.

Thomas Kirmayr, der Leiter des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Planen und Bauen sieht für die Phase der Projektentwicklung „unheimlich viel Potenzial“. So werde sich künftig der Wert von Bauwerken nicht nur „durch dessen physischen Erscheinung und Lage ergeben, sondern auch durch das Bauwerksdatenmodell, also den digitalen Zwilling des Bauwerks.“ Welche Möglichkeiten denkbar sind aber auch welche Voraussetzungen dafür vorab zu schaffen sind, das verdeutlichte das zweite Fachsymposium des Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrums Planen und Bauen an seinem Standort für den Themenbereich Projektentwicklung in Mannheim.

Noch sind etliche Fragen zu digitalen Bauwerksmodellen offen, die besonders die Phase der Projektentwicklung betreffen. So sind wichtige juristische Aspekte rund um BIM noch in der Diskussion, weil digitale Methoden und Techniken schlicht Neuland bedeuten. Eduard Dischke, Fachanwalt für Baurecht (KNH Rechtsanwälte) und Leiter der Fachgruppe Recht bei buildingSMART Deutschland, wies in seinem Vortrag auf noch unklare, teilweise auch fehlende Regelungen sowie auf belastbare und gerichtsfeste Praxiserfahrungen in vertrags- und haftungsrechtlicher Hinsicht hin. Grundsätzlich, so seine Überzeugung, bleibe es auch bei BIM-Verträgen bei „werksvertraglichen Beziehungen“.  Wesentlich sei es, bei BIM-Projekten vorab eine Reihe von Fragen zu klären, die sich rund um die Entstehung, Erhebung, Verarbeitung, Weitergabe und Nutzung von Daten und Informationen im BIM-Modell zwangsläufig ergeben. „Es muss beispielsweise Klarheit herrschen über Dateninhalte und Datenformate und zwar vor Projektbeginn, weil sonst die Vorteile von BIM unterzugehen drohen.“ So seien Auftraggeberinformationsanforderungen (AIA) und der BIM-Abwicklungsplan zentrale Dokumente, um die technischen, organisatorischen und vertraglichen Anforderungen des BIM-Projektes festzulegen. 

Wesentlich für den Wert eines BIM-Modells einer Immobilie, das machte der Vortrag von Dr. Matthias Frost (frostlaw.de) deutlich, sei dessen uneingeschränkte Übertragbarkeit bei jeder Veräußerung der Immobilie. Dadurch ergäbe sich für das BIM-Modell ein eigenständiger und über den Lebenszyklus des Bauwerks nachhaltig belegbarer Eigenwert. Bislang betrachten viele Projektentwickler die BIM-Methode einzig als einen zusätzlichen Kostenfaktor. Zwar ergeben sich durch das Planen und Bauen mit BIM eine ganze Reihe von Vorteilen. Etwa, in dem Planungen sicherer und Bauabläufe effizienter gestaltet werden können. Doch letztlich stellt sich für den Projektentwickler die Frage, ob mögliche Mehrkosten durch BIM  durch einen besseren Verkaufspreis des Bauwerks gedeckt werden können - damit stellt sich zudem die Frage nach dem wirtschaftlich relevanten Nutzen von BIM für die Betriebs- und Nutzungsphase. Dieser jedoch liegt laut Matthias Frost auf der Hand: Ein zuverlässiges und über den Lebenszyklus hinweg gut gepflegtes BIM-Modell enthält Informationen, die den Betrieb und den Nutzen einer Immobilie deutlich effizienter gestalten lassen. Damit diese Vorteile jedoch wirksam werden, muss das BIM-Modell zwingend übertragen werden können und damit einhergehend die mit ihm verknüpften Vertragsverhältnisse. Dies ist in Deutschland jedoch weitgehend juristisches Neuland, laut Matthias Frost jedoch durchaus darstellbar. Nötig sei beispielsweise, dass dem Projektentwickler auch das BIM-Modell „gehöre“ und er dieses mit allen dazugehörigen Vertragsverhältnissen an einen neuen Eigentümer übertragen könne. Bislang, so Dr. Frost, finde bei jedem Eigentümerwechsel einer Immobilie de facto eine „kleine Zerschlagung“ statt: Mit dem Eigentümerwechsel gehen nämlich wertvolle Informationen über den Betrieb und die Erhaltung der Immobilie verloren. Gibt es jedoch ein über alle Phasen hinweg gepflegtes BIM-Modell, das bei jedem Eigentümerwechsel mit übertragen wird, so ergeben sich deutliche Effizienzgewinne für den Betrieb und die Nutzung des Objektes. Dieser Mehrwert durch BIM honoriert der Markt, weil Risiken und Unsicherheiten, die unmittelbar finanzielle Folgen haben, reduziert werden. Für Planer ergäben sich dadurch auch mögliche neue Geschäftsmodelle, etwa die verlässliche Pflege des BIM-Modells über alle Phasen der Nutzung und über Eigentümerwechsel hinweg. 

Welch enorme Potenziale BIM für die Planungs- und Ausführungsphasen hat, verdeutlichte Jürgen Mittmann (dilb GmbH), der seit 25 Jahren Prozesse entwickelt und optimiert. Durch digitale Koordination ergeben sich dabei erhebliche Optimierungspotenziale für den Projektablauf bei Bauwerken, die Jürgen Mittmann anschaulich erläuterte. So können durch digitale Prozesssteuerung Störungen im Planungs- und Bauablauf effektiv erkannt und deren Folgen transparent gemacht werden, was wiederum zu deutlich besseren und sicheren Entscheidungen führt. Jürgen Mittmann verdeutlichte dies anhand eines realen Beispiels: So ergab sich durch eine Planungsverzögerung beim Bau eines Kindergartens, dass die Arbeiten am Rohbau ins Stocken zu geraten drohten. Der Rohbauer bot dem Auftraggeber an, die fehlenden Planungsleistungen zu erstellen, um den Bauablauf nicht zu gefährden. Jedoch, die so entstehenden Mehrkosten von etwas mehr als 10.000 EUR wollte der öffentliche Bauherr nicht auf sich nehmen, denn schließlich waren die Planungsleistungen ja beauftragt. Nicht zu erkennen war aber die „kaskadenartigen Wechselwirkungen auf die Ausführungsarbeiten anderer Gewerke“, so Jürgen Mittmann. Am Ende verteuerte sich der Kindergarten um mehrere 100.000 EUR und die Bauzeit verlängerte sich um mehr als die Hälfte – Effekte, die deutlich minimiert hätten werden können, wenn der Bauherr die ursprüngliche Bauablaufstörung sofort hätte eindämmen können. Dank der von Jürgen Mittmann und seinem Unternehmen entwickelten Prozesssteuerungssysteme mittels sogenannter digitaler Prozessbausteine („Construction Chips“) sind Störungen und deren Wechselwirkungen sofort identifizierbar. Wichtige Voraussetzung für die digitale Prozesskoordinierung ist, dass jede Arbeit auf der Baustelle auch digital erfasst und dokumentiert wird. Damit dies auch wirklich gemacht wird, muss jedes Gewerk von der digitalen Wertschöpfung profitieren können, so Jürgen Mittmann. Die Vorteile durch die digitale Koordination werden so an alle Partner beim Planen und Bauen geteilt und der Bauherr erhält einen hohen Grad an Kosten- und Terminsicherheit für sein Projekt – ein Aspekt, der besonders bei öffentlichen Bauwerken von besonderer Tragweite erscheint.

Stefan Stenzel (Cushman&Wakefield LLP) legte dar, wie man den Grundgedanken der digitalen Koordination noch weiter entwickeln kann: Gelingt es, projektübergreifende Daten zum Bauablauf und über mögliche Störungen und Risiken zu sammeln, so ergeben sich Möglichkeiten der Vorhersage – und zwar sowohl zur Art wie auch zum finanziellen Umfang bestimmter Risiken. An solchen Risiko-Darstellungen und -Bewertungen haben die Banken aufgrund regulatorischer Zwänge ein sehr hohes Interesse. Deshalb gelte laut Stefan Stenzel der Grundsatz: Wer die Daten hat, der gewinnt das Spiel. Er und sein Team entwickeln technisch-wirtschaftliches Baumonitoring für Banken und Investoren und versuchen somit, Baurisiken frühzeitig zu erkennen, zu bewerten und - konsequenterweise - möglichst zu verhindern oder deren Wirkungen zu minimieren. Für die Banken, die Bauwerke finanzieren, sind solche Risikoabschätzungen von enormer Bedeutung, denn sie unterliegen seit der Finanzkrise der Jahre 2009/ 2010 einer strengen Gesetzgebung, die sie verpflichtet, die Risiken ihrer (Immobilien-)Finanzierung klarer als bisher darzustellen. Für dieses gesetzlich geforderte Reporting benötigen die Banken relevante und verlässliche Daten. Am Bau jedoch, so die Erfahrung von Stefan Stenzel, sind sehr viele Beteiligte eingebunden. „Und wie arbeiten diese? Jeder mit einer eigenen Excel-Tabelle!“ Da aber keine Tabelle der anderen gleiche und auch die darin enthaltenen Daten nicht nach einheitlichen Kriterien ermittelt werden, entstehe letztlich ein Daten-Wirrwarr, der für Banken hochproblematisch werden kann. Entwickelt sich durch BIM jedoch ein einheitliches System, so komme man der Verfügbarkeit relevanter und verlässlicher Daten sehr nahe. Deshalb stelle sich im Grunde nicht die Frage, „was BIM kostet, sondern vielmehr die Frage, was es kostet, BIM nicht zu nutzen“, so das Resümee von Stefan Stenzel. 

Welche weiteren konkreten Anwendungsfälle von BIM in der Praxis der Projektentwicklung bereits existieren, stellte Stefan Seiß von der Bauhaus-Universität Weimar in seinem Vortrag dar. Diese kooperiert mit einem mittelständischen Projektentwickler und -steuerer und entwickelt gemeinsam mit diesem konkrete BIM-Anwendungsfälle. Studenten sind in diese Kooperation eingebunden und entwickeln mit dem Unternehmen Lösungsansätze für konkrete Probleme aus der Praxis des Unternehmens. So wurde beispielsweise die Integration von Daten aus Geoinformationssystemen (GIS) in BIM erarbeitet, um Standort- und Nutzwertanalysen für die Projektentwicklung erstellen zu können. Weitere Anwendungsfälle sind Qualitätsprüfungen oder auch die Nutzung von BIM für Ausschreibungen und Kostenschätzungen. 

Ein weiterer, noch sehr neuer aber höchst relevanter Anwendungsfall für digitale Bauwerksmodelle sind Personenstromsimulationen. Das Unternehmen accu:rate, ein Spin-off der TU München, hat sich darauf spezialisiert, Laufwege von Personen in Bauwerken digital zu simulieren. So können Fluchtwege etwa von Fußballstadion aber auch die Orientierung in Bahnhöfen schon am Rechner simuliert und optimiert werden. Sophia Simon von der accu:rate GmbH berichtete, wie es ihrem Unternehmen gelang, diese Personenstromsimulationen direkt aus einem BIM-Modell über das herstellerneutrale Datenformat IFC zu entwickeln. „Bisher haben wir analoge Papierpläne aufwändig nachdigitalisiert, was nicht nur langwierig, sondern auch fehleranfällig war.“ Durch BIM können nun Nutzungsszenarien und Personenstromsimulationen in schon sehr frühen Planungsphasen durchgeführt werden, was wiederum bewirkt, dass schon zu Beginn eines Projektes geprüft werden kann, ob das Bauwerk funktional, sicher und komfortabel für die Nutzer ist. Allfällige Änderungen oder auch Optimierungen sind dann dank des digitalen Bauwerkmodells ohne große Aufwände und Auswirkungen auf die Bauphase möglich.


30.09.2019