"Wir müssen lernen unter Corona zu wirtschaften"


Wie erleben kleine und mittelständische Unternehmen die Corona-Krise und welche Rolle spielen dabei digitale Methoden und Technologien? Antworten auf diese Fragen finden sich im nachfolgendem Interview mit Dipl.Ing. (TH) Markus Becker, Geschäftsführer eines mittelständischen Büros für Ingenieur- und Tiefbau in der Nähe von Bonn.

Wie hat die Corona-Pandemie Ihre tägliche Arbeit in der Leitungstiefbauplanung beeinflusst?

Zunächst habe ich veranlasst, dass sehr schnell viele Mitarbeiter von zuhause aus arbeiten können. Für diejenigen Mitarbeiter, die weniger als 5 Kilometer vom Büro entfernt wohnen, ist es aber nach wie vor einfacher, vom Büro aus zu arbeiten. Hier arbeitet dann je eine Person im Raum. IT-technisch waren wir relativ gut aufgestellt. Vor 5 Jahren hatte ich bereits eine Software für Videokonferenzen gekauft und damals versucht, meinen Mitarbeitern die Vorteile zu vermitteln. Mir wurde dann aber immer wieder gesagt, das sei viel zu aufwendig. Jetzt ist das kein Problem mehr – wir sind es gewohnt, von einer Videokonferenz in die nächste überzugehen. Wir werden mit Sicherheit einige Home-Office-Elemente nach Corona mit aufnehmen. In diesen Zeiten erlebe ich zudem ein unheimliches Engagement der Mitarbeiter. Diese wissen alle, dass das derzeit eine besondere Situation ist und geben entsprechend Vollgas.

Welchen Herausforderungen sehen Sie sich auf Ihren Baustellen derzeit gegenüber?

Wir hatten zunächst große Sorge um die Baustellen. Unsere kommunalen Baustellen im Tiefbau sind in einer Größenordnung von 300.000 bis 3 Mio. Euro einzuordnen. Vor diesem Hintergrund sind meist ein oder zwei Kolonnen involviert. Die Gewerke werden zudem nacheinander geliefert. Die Corona-Krise verlief für uns dann doch relativ unproblematisch. Wir haben natürlich die Anforderungen der Berufsgenossenschaft bezüglich Handwäsche und Handwaschbecken auf den Baustellen umgesetzt. Die Bauarbeiter machen getrennt Pause und kommen nicht nur in einem Transporter zur Baustelle. Das sind wesentliche Prozesse, die wir auch überprüfen können. Wir müssen schließlich lernen, unter Corona zu wirtschaften. Und das klappt bei uns ganz gut. Auch gibt es einen positiven Nebeneffekt: Da derzeit mitunter der Schulbusverkehr wegfällt, erzielen wir auf den innerstädtischen Baustellen entsprechende Beschleunigungseffekte.

Wie ist die aktuelle Auftragslage im Tiefbau?

Gut. Wir haben immer noch einen Vorlauf von mindestens sechs Monaten und akquirieren jetzt für die Zeit danach. Wir arbeiten zu 90 Prozent für kommunale Auftraggeber und für 10 Prozent für mittelständische Unternehmen. Mit unseren Stammkunden sprechen wir alle sechs Wochen über den Stand einzelner Projekte. Und über diese Methode ergeben sich immer wieder neue, kleinere Bedarfe. Sobald diese Aufträge größer werden, geht das natürlich in die öffentlichen Vergabeverfahren über. Die Prozesse sind aber im Moment leider sehr träge. Das Verfahren ist noch nicht überall eingepflegt, obwohl das natürlich Pflicht sein sollte. Das führt im Moment zu Projektverzögerungen, was jedoch nichts mit Corona zu tun hat.

Wie erfolgt die Zusammenarbeit mit Ihren Kunden und welche Rolle spielen dabei digitale Prozesse und Technologien?

Ich erlebe derzeit großes Bemühen, dass Baustellen weiterlaufen, Entscheidungen getroffen und Konflikte gelöst werden können. Auch wenn gerade keine Gremien tagen. Das funktioniert hier in Deutschland sehr gut. Auch denke ich, dass für digitale Technologien nun durchaus eine größere Offenheit vorhanden ist. Wenn man früher gerade mit Rathäusern, Kommunen und Kreisverwaltungen über Videokonferenzen, Vertrauensarbeitszeit oder Home-Office gesprochen hat, dann wurden eher Probleme als Chancen gesehen. Angesichts des Coronavirus muss man sich aber nun eingestehen, dass der Betrieb ohne digitale Werkzeuge nicht aufrechterhalten werden kann. Manche Prozesse werden infolgedessen sicherlich beschleunigt werden, wie zum Beispiel die für dieses Jahr geplante Einführung der E-Rechnung. Ich glaube auch, dass der Datenschutz praxistauglicher wird. Hier müssen vermehrt Lösungen gefunden werden. Und nicht einfach nur gesagt werden, was nicht möglich ist. Es ist immer leichter etwas zu bremsen, als Prozesse voranzutreiben. Die Bremser werden jetzt sicherlich zurückgefahren.

Sie haben mit localexpert24 eine Vernetzungsplattform für den Tiefbau gegründet. Welchen Stellenwert nimmt die digitale Plattform während der Corona-Zeit ein?

Derzeit erlebe ich ein viel größeres Interesse für die Plattform. Vorher habe ich oft nur zu Ohren bekommen - „Ja, wann soll man das denn noch machen“. Im örtlichen Bereich hat man sehr viel Überforderung und Personalmangel erlebt. Leitungstiefbau ist aber immer ein regionales Projektgeschäft. Wir möchten daher mit der Plattform die lokalen Experten in einer Region – die Bauherrenvertreter, die Planer und die Baufirmen – wieder zusammenbringen. Es geht im kommunalen Tiefbau vor allem um menschliche Beziehungen. Ich sage immer: Wir müssen die Baukultur verbessern. Und digitale Plattformen können dazu einen Beitrag steuern.

Welchen Stellenwert wird die Digitalisierung weiterhin für Ihren Betrieb einnehmen?

Ich bin jetzt 53 Jahre alt. Und ich habe bereits gewisse Themen an jüngere Teams delegiert, wie zum Beispiel die E-Rechnung oder das Dokumentenmanagementsystem. Früher habe ich die IT-Themen selber vorangetrieben, wie ich auch selbst die Plattform gegründet habe. Nach und nach gebe ich jetzt mehr digitale Verantwortung ab. Zum Beispiel werde ich einige Mitarbeiter zum BIM im Leitungstiefbau Manager ausbilden lassen. Hier lasse ich bewusst die jüngere Generation heran. Und es gibt viele in der Altersspanne von 30 bis 50, die wollen mehr an die Freude des Bauens herankommen. Und Bauen gibt so viel Sinn. Und ist so wichtig. Infrastruktur ist das Nervensystem der Gesellschaft. Man müsste sich nur vorstellen, die Wasser- und Stromversorgung wäre während der Corona-Zeit weggefallen. Die Bundesregierung macht diesbezüglich einen sehr guten Job und ich bin froh, während dieser nicht ganz so einfachen Zeit in Deutschland zu leben.

Das Gespräch mit Dipl.Ing. (TH) Markus Becker wurde am 15. April 2020 via Videokonferenz durchgeführt.


28.04.2020