Serielles Bauen | Herausforderungen, Chancen, Praxistest


Was muss eine Fabrik leisten, um in der seriellen Fertigung erfolgreich zu sein? Und welche Chancen sowie Herausforderungen gehen im Neubausektor mit der Digitalisierung des Bauprozesse bei der seriellen Fertigung einher? Diesen Fragen geht zum Beispiel das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung in der Forschung nach, die mittelständische Nokera AG beantwortet sie in der Praxis.

„In Deutschland fehlen rund 700.000 Wohnungen“, erklärt Ralph Burkhardt, Vorstandsvorsitzender der Nokera AG und fährt fort: „Eine derartige Lücke kann nur durch serielles Bauen geschlossen werden. Wenn wir diesen Weg nicht vorantreiben, werden wir zu lange brauchen, um den benötigten Wohnraum zu realisieren und in einigen Jahren soziale Unruhen haben, weil die Menschen auf der Straße leben.“

Das Ziel: bezahlbarer Wohnraum

Um Ralph Burkhardts düstere Prognose nicht zur Wirklichkeit werden zu lassen, hat sich Nokera zum Ziel gesetzt, mit seinem seriell gefertigten Holzbausystem bezahlbaren Wohnraum für Projektentwickler und die öffentliche Hand zu realisieren. Dabei konzentriert sich das mittelständische Unternehmen auf die Produktion von Wandelementen für Wohnhäuser, Quartiere, Kindergärten und Schulen. Am Standort in Stegelitz stellt der Betrieb mit derzeit rund 300 Mitarbeitern Innen- und Außenwände mit einem Vorfertigungsgrad von über 85 Prozent her. Wandgrößen bis zu 13,80 m Länge sind im System möglich. Diese Grenze hat sich Nokera selbst auferlegt, um die Elemente noch mit normalen Lastwagen und ohne Straßensperren wie bei Schwerlasttransporten üblich, transportieren zu können. Fassaden, Fenster und sogar französische Balkone werden bereits im Werk integriert. Auch die Innenwände müssen vor Ort, auf der Baustelle, nur noch gespachtelt und tapeziert oder gestrichen werden.

… im Netzwerk mit anderen Unternehmen

In enger Zusammenarbeit mit Partnerunternehmen, die die Produktion der Decken und anderer Bauteile sowie Energiegewinnungssysteme wie Wärmepumpen und Photovoltaik abdecken, entstehen so schlüsselfertige Gebäude im KfW 40 Standard. Dabei vereint Nokera knapp 85 Prozent der Wertschöpfungskette im eigenen Haus, der Rest wird zugekauft. Die hohe Eigenfertigungstiefe reduziert Schnittstellen und Nebenkosten, etwa für Anpassungen oder für den Transport. „Außerdem können wir mit unserem System Mitarbeiter aus- und weiterbilden und sie dann in unserem Netzwerk einsetzen, denn das Aufstellen der Wände ist in einer vier bis sechswöchigen Schulung erlernbar. So beugen wir dem Fachkräftemangel vor“, sagt Burkhardt.

Feste Lieferketten, feste Preise

Da der Betrieb an jedem Standort mit festen Lieferketten arbeitet, kann er seinen Kunden Festpreise garantieren. Mehr noch: Mit wenigen Rahmendaten wie Standort und die Fläche des gewünschten Projekts können Interessenten bei einer Projektanfrage über die Homepage des Unternehmens sofort die Kosten kalkulieren lassen. Vom Quickcheck bis zum modellbasierten Bauantrag vergehen nur sechs Wochen. „Theoretisch könnten wir in diesem Tempo und mit unserem Maschinenpark bis zu 30.000 Wohnungen im Jahr produzieren“, schätzt der Vorstandsvorsitzende. Doch bislang ist die Produktion nicht ausgelastet.

Die Herausforderung: Vorschriften

Ein höherer Durchsatz scheitert vor allem an den vielfältigen Normen, Vorschriften und langen Fristen für Baugenehmigungen. Von der Antragstellung bis zur Genehmigung durch das zuständige Amt vergeht derzeit bis zu einem Jahr. „Wir haben 16 verschiedene Bauordnungen in 16 Bundesländern. 1990 gab es rund 5.000 verschiedene Bauvorschriften, heute sind es bestimmt 20.000, die alle beachtet werden wollen“, bedauert Unternehmer Burkhardt und fordert: „Diese Bürokratie muss verringert werden, um die serielle Fertigung voranzutreiben.“

…Auslastung

Seine Forderung ist berechtigt. Denn um eine wirtschaftliche Serienfertigung zu betreiben, muss die Nachfrage so groß sein, dass die Produktion dauerhaft ausgelastet ist. Dabei konkurrieren die durchdigitalisierten Marktteilnehmer mit der Handarbeit auf der Baustelle. Das macht Stefanie Samtleben, Gruppenleiterin der Abteilung Logistik- und Fabriksysteme am Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF deutlich: „Wenn beispielsweise im Winter die Nachfrage sinkt, schicken Bauunternehmer ohne serielle Fertigung ihre Mitarbeiter einfach in die Lohnpause. Das geht in der Fabrik nicht. Hier ist Kontinuität gefragt, um die Mitarbeiter dauerhaft zu beschäftigen“. Stefanie Samtlebens Team beleuchtet die Herausforderungen der seriellen Fertigung. Ihre Themen sind zum Beispiel die Automation von Planungsschritten, Nachhaltigkeitsaspekte, aber auch Fertigungstechnologien und Detailfragen zur Logistik sowie zur Wirtschaftlichkeit des Prozesses.

Lösungsvisionen

„Wir gehen davon aus, dass die Nachfrage nach serieller Fertigung steigen wird, wenn die Preise dafür sinken. Denn wer günstige Produkte anbietet, ist auch bei einer grundsätzlich niedrigen Auslastung der Branche konkurrenzfähig“, betont Samtleben. Derzeit kämpft die Bauweise noch mit alten Vorurteilen. Nicht selten wird sie mit den monotonen Plattenbauten früherer Zeiten in Verbindung gebracht, die dem künstlerischen Anspruch der Architekten an individuelle, ausdrucksfähige Gebäude widersprachen. Die Nachfolger von heute entwickeln jedoch eine neue Individualität in der Außendarstellung und verbinden diese mit dem Gedanken des kostengünstigen Bauens und effizienten, digital unterstützten Planungs- und Fertigungsprozessen. Im Zusammenspiel von Planungsarbeit, Bauausführung und gestalterischer Freiheit gilt es nun für Architekturschaffende, sich ihre Freiheit zu bewahren, gleichzeitig aber ein Bauwerk mit möglichst vielen gleichen Teilen anzustreben und den Anspruch zu haben, Losgröße eins effizient produzieren zu können. All dies sollte eine erfolgreiche serielle Fertigung ermöglichen können.

Vorteile

Die standardisierte Fertigung – also das serielle Bauen – bietet viele Vorteile. In Kombination mit der nachhaltigen Holzbauweise wirkt sie sich positiv auf den Klimawandel aus, da Holz ein optimaler Kohlendioxidspeicher ist. Zudem können deutlich höhere Stückzahlen schneller und kostengünstiger produziert werden. Dies wirkt sich insbesondere bei sich wiederholenden Prozessen positiv aus, wie die serielle Fertigung in der Automobilindustrie zeigt. „Eine Baustelle funktioniert zwar nicht wie eine Fabrik. Denn im Gegensatz zu dieser finden Baustellen immer an individuellen – unterschiedlichen Orten statt und auch die Lieferketten sind stets verschieden, so dass jedes Gebäude zum Unikat wird. Dennoch kann die Baustelle Methoden und Ansätze aus der Produktion für effiziente und schlanke Prozesse nutzen. Dazu gehören zum Beispiel Lean Management oder auch die serielle Fertigung“, erklärt Stefanie Samtleben.

Der Nokera-Weg

Eine digital gestützte Vorfertigung im Bauwesen wird immer wichtiger. So werden z.B. auf Großbaustellen tragende Strukturen im Rohbau immer öfter vorgefertigt auf die Baustelle geliefert. Auch im Hotelbau, der in vielen Projekten mit sich wiederholenden Zimmerformen arbeitet, wird häufig in Modulbauweise gefertigt. Nokera Chef Ralph Burkhardt erklärt: „Bei der Konzeption unseres Geschäftsmodells haben wir für sieben smarte Bausteine entschieden, die standardisiert, skalierbar und flexibel einsetzbar sind.“ Das gilt sowohl für den Neubau als auch für die serielle Sanierung. Und er fährt fort: „Vieles haben wir aus dem Schiffbau übernommen. Weil es auf dem Schiff dort weniger Montagemöglichkeiten und -platz gibt, wird viel vorgefertigt.“ Dass fünfgeschossige Wohnhäuser mit 20 Wohnungen heute noch konventionell gebaut werden, ist für Burkhardt daher unverständlich: „Was beim konventionellen Bauen vom ersten Spatenstich bis zur Übergabe ein Jahr dauert, schaffen wir beim seriellen Bauen in drei Monaten.“

Chancen für den Mittelstand

Dabei sieht Ralph Burkhardt vor allem die mittelständische Bauwirtschaft als Gewinner der Umstellung auf die serielle Fertigung. „Und zwar nicht nur, weil wir z.B. bundesweit nach Montagekapazitäten suchen, also beispielsweise nach Malern, technischen Gebäudeausrüstern oder Schreinern, um sie in unser Netzwerk zu integrieren. Es geht vielmehr darum, enorme Kosten einzusparen, die Effizienz zu steigern und die Verschwendung zu reduzieren.“ Um Teil dieses Prozesses zu werden, müsse sich die mittelständische Bauwirtschaft allerdings rechtzeitig und vollständig digital aufstellen. „Denn nur mit Hilfe der Digitalisierung ist es möglich, seriell zu bauen“, bekräftigt ebenso Stefanie Samtleben. „Der mit BIM erzeugte digitale Zwilling ist das Fundament jeder gelungenen Konstruktion.“

…und die Zukunft?

Bei dem Systembauhersteller Nokera trifft sie hiermit auf großes Verständnis: „Der digitale Weg zieht sich bei der seriellen Fertigung von der Planung bis zur Bauausführung“, ergänzt Burkhardt, der Politik und Wirtschaft, aber auch Hochschulen und Universitäten für die neue Art des Bauens sensibilisieren will. Die hohe Skalierbarkeit der eigenen Produktion erleichtert es Nokera, sich nahtlos an Marktbedürfnisse und die Produktionsmengen anzupassen. Sobald der Zug des seriellen Bauens weiter Fahrt aufnimmt, sind Unternehmen wie Nokera bereits dabei.


18.04.2024